FrankfurtSie kommt jedes Jahr so sicher wie der jährliche Steuerauszug – und sie ist für viele Verbraucher häufig ebenso schwer nachvollziehbar. Jahr für Jahr erhalten etwa 29 Millionen deutsche Lebensversicherungskunden Post von ihrem Versicherer: eine sogenannte Standmitteilung.
In diesem sachlich formulierten Brief informiert das Unternehmen diejenigen, die eine Kapital-Lebensversicherung abgeschlossen haben, kurz und formell, welche Höhe das Vorsorgevermögen erreicht hat und wie die zu erwartende Rendite ausfallen wird.
Dennoch wurden viele Verbraucher aus den Briefen bisher kaum schlau, weshalb die Politik mit der seit Februar 2018 in Kraft getretenen Vermittlerrichtlinie IDD die Anforderungen an die Ausweise deutlich steigerte.
Knapp ein Jahr später fällt ein erster Praxistest nun zwiespältig aus. Viele Versicherer haben tatsächlich an der Übersichtlichkeit gearbeitet, wie eine neue Transparenzanalyse des Policen-Analysehauses Partner in Life (PiL) belegt, die dem Handelsblatt vorab vorliegt.
Insgesamt gut ein Drittel der Versicherungsgesellschaften zeige demnach „ordentliche nachvollziehbare Wertmitteilungen und erfüllt im Wesentlichen die gesetzlichen Vorgaben“, lautet ein Fazit der Studie.
Doch längst nicht bei jedem Anbieter hat sich die Darstellung im vergangenen Jahr deutlich verbessert. „Der Gesetzgeber will den Versicherungskunden in die Lage versetzen, überprüfen zu können, ob die meist vor vielen Jahren abgeschlossenen Verträge noch zum aktuellen Bedarf passen“, erläutert Dean Goff, Vorstand der PiL. „Manche Wertmitteilungen vermitteln aber nur eine unverständliche oder unvollständige Antwort auf diese Frage.“
PiL, das sich auf den Zweitmarkt für Versicherungen spezialisiert hat und schon aus professionellen Gründen die Mitteilungen genau durchleuchtet, macht dabei eine wachsende Kluft aus.
So seien die Lebensversicherer SV Sparkassen und die Provinzial Nordwest in diesem Jahr die transparentesten Gesellschaften. Beide Firmen lägen mit einem Transparenzscore von 79,0 beziehungsweise 78,4 Prozent auf den Spitzenplätzen und hielten sich „vollumfänglich“ an die gesetzlichen Vorgaben, lautet das Urteil der Experten. „Es hat uns gefreut zu sehen, dass viele Versicherer deutlich besser geworden sind“, betont Goff. „Es hat regelrecht einen Ruck zu mehr Transparenz gegeben. Das war wichtig und gut. Viele Versicherer haben sich deutlich bewegt, das kann man positiv festhalten.“
Allianz schockiert die Experten
Dennoch genügen längst nicht alle Versicherer den Ansprüchen nach deutlich mehr Transparenz. Vor allem ein prominenter Name fällt in der Untersuchung auf: So landet überraschend auf dem letzten Platz des Transparenzrankings der Marktführer Allianz.
„Das schlechte Abschneiden der Allianz hat uns schon etwas schockiert“, gibt Goff zu. „Während sich viele Versicherer in diesem Jahr deutlich bewegt haben, ist ausgerechnet der Marktführer einen Schritt zurückgegangen.“
So fehlten in den Standmitteilungen der Allianz Lebensversicherung alle Angaben zu den variablen Anteilen am Rückkaufswert.
Das Unternehmen nenne nur die Zahlen für einen weit in der Zukunft liegenden Moment der Ablaufleistung. „Damit können aber selbst Profis nichts anfangen“, kritisiert der PiL-Chef.
Die Allianz Lebensversicherung betont dagegen, dass sie sich an alle Vorgaben hält. „Unsere Informationen erfüllen stets die Anforderungen, die das Versicherungsvertragsgesetz vorsieht und mit Wirkung zu Mitte 2018 neu gefasst hat“, sagt eine Sprecherin.
Seither weise der Versicherer auch den Auszahlungsbetrag bei Kündigung unter Einbeziehung der Überschussbeteiligung zum Stichtag der Standmitteilung aus.
Zudem nenne der Versicherer die jeweils aktuellen Rückkaufswerte bei schriftlichen und telefonischen Anfragen sowie im Kundenportal zum jeweils letzten verfügbaren Stichtag. „Auf die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften achten wir dabei streng“, betont die Sprecherin.
Verbraucherschützer kritisieren die Versicherer
Die Verbraucherschützer stellen sich jedoch auf die Seite von Goff. „Ich denke, wenn die Allianz dem Geist des neuen Gesetzes folgen würde, müsste sie eigentlich genauere Angaben machen“, sagt Thomas Mai von der Verbraucherzentrale Bremen.
Aber die Juristen des Versicherers würden sich den Passus genau angeschaut haben, und tatsächlich sei das Gesetz in diesem Punkt etwas ungenau formuliert. „Die Erfolgsaussicht einer Klage ist daher schwer einzuschätzen.“
Es gebe bei Gesetzestexten immer einen gewissen Interpretationsspielraum, räumt PiL-Chef Goff ein. Dies eröffne bei einigen Versicherern noch „viel Verbesserungspotenzial“. So liegen laut der PiL-Studie auch Ergo, Victoria, Huk Coburg, Targo und Neue Leben am unteren Ende der Skala.
Goffs Fazit zur Umsetzung der Gesetzesvorgaben fällt eher ernüchternd aus. „In unseren Augen erfüllen derzeit rund 18 Firmen, die zusammen für rund 50 Prozent des deutschen Lebensversicherungsmarktes stehen, die neuen gesetzlichen Vorgaben hinsichtlich der Standmitteilungen zu weniger als 50 Prozent“, resümiert er.