Lebensmittel: Im Online-Handel schlägt die Stunde der Wahrheit

https://www.handelsblatt.com/unternehmen/handel-konsumgueter/supermarkt-im-netz-im-lebensmittel-onlinehandel-schlaegt-die-stunde-der-wahrheit/23380874.html

DüsseldorfAm Schluss war dann nur noch der Zeitpunkt überraschend. In einem letzten verzweifelten Versuch, genügend Kunden zu gewinnen, hatte Freshfoods gerade erst das Geschäftsmodell umgestellt und sogar kostenlose Lieferungen angeboten. Doch Ende Oktober hat der Lebensmittellieferdienst der regionalen Supermarktkette Feneberg den Betrieb eingestellt.

„Trotz hoher Anstrengungen und viel Herzblut müssen wir die eigene Auslieferung aufgrund der hohen Investitionen leider einstellen“, teilte Freshfoods mit. Die Kunden werden auf das Angebot von Bringmeister verwiesen, einer Tochter von Edeka, mit der Feneberg ohnehin schon zusammenarbeitet.

Kurz zuvor hatte auch die Biokette Basic ihren Web-Shop dichtgemacht. Mehr als zehn Jahre hatte der Händler Lebensmittel über das Netz verkauft und war damit ein Pionier der Branche. Doch letztlich sah das Management keine Chance, das Geschäft irgendwann profitabel zu bekommen.

Im Onlinehandel mit Lebensmitteln ist die Stunde der Wahrheit gekommen. „Die Revolution im Onlinehandel mit Lebensmitteln ist zunächst ausgeblieben, ein schneller Ausbau ist doch schwieriger, als manche gedacht hatten“, sagt Rainer Münch, Handelsexperte der Beratungsgesellschaft Oliver Wyman.

Und das gilt nicht nur für die Kleinen der Branche. So warten die Onlineshops von Edeka und auch Rewe immer noch auf den großen Durchbruch. Die Deutsche Post DHL hat ihre Hoffnungen in diesem Geschäft komplett begraben und ihren Lieferdienst Allyouneedfresh verkauft.

Selbst der Onlineriese Amazon hat mit ungeahnten Schwierigkeiten zu kämpfen. Die weitere Expansion von Amazon Fresh ist nach der Eröffnung der Standorte in Berlin, München und Hamburg offen. In diesem Jahr ist kein neues Liefergebiet dazugekommen. „Von den Ambitionen, die sie ursprünglich hatten, sind sie offenbar wieder etwas abgerückt“, beobachtet Berater Münch.

Ausgerechnet in dieser Phase der Konsolidierung zeigt das Start-up Picnic, dass mit dem richtigen Konzept trotzdem schnelle Erfolge möglich sind. Das niederländische Unternehmen ist erst in diesem Jahr in Nordrhein-Westfalen gestartet, beliefert aber bereits 8500 Kunden. In der vor sechs Wochen gestarteten neuen Lieferregion Mönchengladbach liegt die wöchentliche Wachstumsrate bei 40 Prozent, wie Deutschlandchef Frederic Knaudt im Gespräch mit dem Handelsblatt sagt.

Nun wird die Expansion weiter verschärft. Ab kommendem Wochenende wird der Samstag als sechster Liefertag dazugenommen, sagt Picnic-Manager Knaudt. „Wir gehen davon aus, dass wir bis Ende des Jahres die Zahl unserer wöchentlichen Bestellungen von jetzt 4000 auf 6000 erhöhen werden.“

Im kurzer Zeit auf Augenhöhe mit den Etablierten

Im ersten Quartal sollen dann weitere Standorte hinzukommen, zunächst in NRW, später in anderen Bundesländern. Dafür werden nun die Kapazitäten geschaffen: So wird die Lagerfläche im Zentrallager in Viersen jetzt schon von 3.500 auf 8.500 Quadratmeter erweitert, ein Schritt, der eigentlich erst für kommendes Jahr geplant war.

Damit könnte Picnic innerhalb kurzer Zeit auf Augenhöhe mit etablierten Anbietern kommen. Wenn man davon ausgeht, dass Picnic einen durchschnittlichen Warenkorbwert von 60 Euro hat, kommt man mit den künftig 6000 Bestellungen in der Woche aufs Jahr hochgerechnet auf einen Umsatz von knapp 19 Millionen Euro.

Zum Vergleich: Der vor sieben Jahren gegründete Dienst Allyouneedfresh, immerhin bundesweit tätig und bis vor Kurzem Teil des Weltkonzerns Deutsche Post DHL, kam 2017 nur auf einen Umsatz von 23,8 Millionen Euro. Selbst Marktführer Rewe, der in 75 Städten ausliefert, kommt online auf Umsätze von weniger als 150 Millionen Euro.

Denn noch immer sind die Deutschen sehr zögerlich bei der Onlinebestellung von Lebensmitteln. Gerade mal ein Prozent des Umsatzes von rund 150 Milliarden Euro in der Branche läuft über Web-Shops. Doch das Potenzial ist groß. „Ich halte einen Marktanteil des Onlinehandels bei Lebensmitteln von zehn Prozent mittelfristig für durchaus realistisch“, prognostiziert Experte Münch.

Eines der größten Hindernisse: Um auch nur in die Nähe der Profitabilität zu kommen, verlangen fast alle Lieferdienste hohe Zustellgebühren – doch genau das schreckt viele Kunden ab. Picnic hat offenbar einen Weg gefunden, diesem Dilemma zu entkommen.

Das Unternehmen bietet statt frei wählbarer Zeitfenster nur feste Touren an. So kommt es pro Stunde auf sieben bis acht Stopps. „Dadurch können wir unsere Kosten pro Bestellung so weit reduzieren, dass wir die Lieferung für den Kunden kostenlos anbieten können“, sagt Knaudt.

Wie sehr Picnic schon die Standards in der Branche setzt, zeigt eine Entscheidung des Onlinelieferdienstes Getnow, der mit dem Handelskonzern Metro zusammenarbeitet. Er hat jetzt beschlossen, bundesweit zu expandieren, und nimmt nach Berlin und München als dritten Standort ausgerechnet Neuss dazu – eines der beiden Liefergebiete von Picnic.

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