San FranciscoBis Ende des Jahres will sich Amazon für den Standort eines zweiten Hauptquartiers in Nordamerika entscheiden. So jedenfalls der Plan, wie er aus der bestehenden Zentrale in Seattle kommuniziert wird. Gut fünf Milliarden Dollar an Investitionen und 50.000 Arbeitsplätze soll der glückliche Gewinner der Stadtentwicklungs-Lotterie bekommen, verteilt über 20 Jahre.
Seit über einem Jahr reichten schätzungsweise 200 Städte ihre Bewerbungen ein, reisen Amazon-Vertreter in Rathäuser in den ganzen USA. Dort klopfen sie die Bedingungen in den Städten ab, und wie viel die Stadtväter bereit sind, an Fördermitteln und Subventionen locker zu machen. Nun konzentriere sich die Suche noch auf 20 Städte. Das Ergebnis wird vor Jahresende erwartet.
Wenn die Informationen des „Wall Street Journal“ (WSJ) stimmen, ist es im Führungskreis um Amazon-Chef Jeff Bezos dabei zu einem Umdenken gekommen. Angeblich, so das WSJ unter Berufung auf Personen, die mit der Angelegenheit vertraut seien, wird es jetzt zu einer Aufspaltung des Projekts kommen. Es soll zwei neue Standorte geben, sozusagen 2a und 2b, beide mit je der Hälfte der geplanten Arbeitsplätze. Amazon wollte den Bericht nicht kommentieren.
Als Begründung führen die Quellen mehrere Gründe an. So sei es durch die geographische Verteilung einfacher, qualifizierte Arbeitnehmer zu finden. Außerdem seien die potenziellen negativen Auswirkungen auf die Gemeinden geringer.
Erst zuletzt hatte in Deutschland Google für Aufregung gesorgt, nachdem das Unternehmen eine geplante Großansiedlung in Berlin-Kreuzberg wegen massiver Proteste wieder aufgegeben hatte. Kräftige Mietsteigerungen, Verdrängung der Alteingesessenen und heftige Immobilienspekulationen im Gefolge der zahlreichen gutbezahlten Neuankömmlinge werden befürchtet.
Auch die Ansiedlung von Amazon wird in erster Line ein Riesengeschäft für Immobilienentwickler, Makler und Bauunternehmen werden. Die Hauptlast werden die Steuerzahler tragen, die die zahlreichen Vergünstigungen und Voraussetzungen wie Infrastruktur finanzieren müssen, die Amazon verlangt.
Im Gegenzug hoffen die Städte auf Tausende neue Arbeitsplätze und Steuerzahler sowie eine prosperierende lokale Wirtschaft. Große Verwerfungen können auf den lokalen Wohnungs- und Immobilienmarkt zukommen, was frühere Entwicklungen nicht nur bei Amazon in Seattle, sondern auch bei Tech-Riesen wie Google und Facebook im Silicon Valley gezeigt haben.
Anfängliche Euphorie ist verflogen
Seattle selbst hatte erst kürzlich zu spüren bekommen, was es bedeutet, einem übermächtigen Konzern gegenüberzustehen. Eine geplante Steuer auf Großunternehmen, die Gelder für den Bau von Wohnungen für finanzschwache Familien aufbringen sollte, wurde auf massives Drängen Amazons und der Androhung eines Baustopps bei einem Bürokomplex im Zentrum der Stadt wieder aufgegeben.
Amazon hatte mitgeteilt, seine „Wachstumspläne in Seattle in Frage zu stellen“. Paul Allen, erst kürzlich verstorbener Mitgründer von Microsoft und Philanthrop, hat seiner Heimatstadt Seattle daraufhin ostentativ 30 Millionen Dollar für den Bau eines Wohnblocks für Obdachlose und Einkommensschwache gespendet.
In die anfängliche Euphorie in vielen US-Städten über die potenziellen positiven Folgen einer solch riesigen Unternehmens-Ansiedelung eines einzigen Unternehmens hatten sich im Laufe der nun gut vierzehn Monate Laufzeit der Ausschreibung auch immer mehr Bedenken gemischt.
Als negative Beispiele für unternehmerische Monokultur gelten Detroit oder Philadelphia, wo der Untergang der Branchen Auto und Stahl zu dramatischen Problemen geführt hatten. Detroit hatte die bislang größte Pleite einer US-Stadt hingelegt, weil es nicht gelungen war, neue Industrien in die Ruinen der großen stillgelegten Autowerke zu locken.
Das könnte auch zu einer Entscheidung beigetragen haben, statt einem Hauptquartier nun zwei zu bauen. Beide würden nach Informationen des WSJ je gut 25.000 Mitarbeiter bekommen und entsprechende Infrastruktur.
Amazon-Hauptsitz in Seattle
Der Konzern wächst. Derzeit arbeiten in 45 Gebäuden 40.000 Angestellte.
(Foto: MABANGL/EPA-EFE/REX/Shutterstock)
Aber ganz so einfach ist das auch wieder nicht. Die Rechnung für den Steuerzahler ändert sich auch entsprechend, wenn Autobahnanbindungen oder öffentlicher Nahverkehr gebaut werden müssen, denen nur noch die Hälfe der möglichen Steuereinnahmen und deutlich weniger Nutzung gegenübersteht.
Derzeit wird laut WSJ die Stadt Crystal City in North Virginia als Favorit gehandelt, nur einen Steinwurf entfernt von der Hauptstadt Washington DC, wo Bezos bereits die „Washington Post“ besitzt. Bei Buchmachern hoch gehandelt wird auch Dallas in Texas. Nicht nur wegen des Klimas und der wirtschaftsfreundlichen Regierung und einer moderaten Besteuerung, sondern weil insgesamt die Lebenshaltungskosten im Vergleich zu anderen US-Großstädten moderat sind.
Das „Wall Street Journal“ hat daneben noch Long Island City im New Yorker Stadtteil Queens als potenzielles Ziel ausgemacht. Ein Viertel, von dem aus man über den East River einen herrlichen Blick auf Manhattan genießt.