Als Daniel Stelter beschloss, ein hauptberuflicher Krisenprophet zu werden, war die Krise eigentlich schon wieder vorbei. Den Zusammenbruch der Investmentbank Lehman Brothers vor zehn Jahren und die anschließende Rezession hatte Stelter als Partner und Mitglied im Vorstand der Boston Consulting Group (BCG) erlebt.
In dieser Zeit tat Stelter, was Unternehmensberater in Krisenzeiten eben tun: Er analysierte für die Kunden von BCG die Risiken, die sich in der Weltwirtschaft aufgebaut hatten, und gab ihnen Tipps, wie sie sich wappnen können.
Ab 2010 ging es wieder aufwärts, und Stelter merkte, dass seine düsteren Szenarien bei BCG nicht mehr gefragt waren. Doch für ihn war klar: Die Risiken sind immer noch da. Die gewaltige Schuldenlast der Welt. Die niedrigen Zinsen der Notenbanken, die es leicht machen, diese Schulden zu bedienen – aber nur solange die Zinsen niedrig bleiben.
Die Spekulationsblasen, die sich in den verschiedensten Märkten aufgeblasen haben, von „Großstadtimmobilien bis Patek-Philippe-Uhren“. Die niedrigen Produktivitätszuwächse der Weltwirtschaft, die echtes nachhaltiges Wachstum verhindern.
Die Unstimmigkeiten bei seinem Arbeitgeber paarten sich mit dem Wunsch, mit knapp 50 noch mal etwas Neues zu beginnen. Ende Juli 2013 schied Stelter nach 23 Jahren bei BCG aus, verzichtete auf viel Geld und Prestige und begann seine Mission als Mahner.
Seitdem schreibt er einen Blog („Beyond The Obvious“) und Bücher, deren Titel verraten: Hier führt kein Optimist die Feder („Eiszeit in der Weltwirtschaft“, „Das Märchen vom reichen Land“). Doch Stelter ist kein Eiferer und kein Verschwörungstheoretiker. Ruhig und schlüssig kann der schlaksige Schnellsprecher darlegen, warum sich die Ungleichgewichte in der Weltwirtschaft früher oder später in einem gewaltigen Knall entladen werden.
Doch genau das ist die entscheidende Frage: früher – oder später?
Während Stelter seine Krisenszenarien verbreitete, ist die Weltwirtschaft zwischen 2013 und 2018 um zehn Prozent gewachsen. Der globale Börsenindex MSCI World legte um 55 Prozent zu. Wer mit seinem Vermögen auf Wachstum und Optimismus setzte, konnte in den vergangenen Jahren mit Aktien ordentliche Renditen einfahren. Wer hingegen zum Beispiel auf die klassische Krisenanlage Gold gesetzt hat, hat seit 2013 27 Prozent seines Vermögens verloren.
Krisenpropheten, so lautet ein alter Kalauer unter Volkswirten, seien wie stehen gebliebene Uhren: Sie gingen fast immer falsch, aber zweimal am Tag richtig. Wer nur lange genug einen Crash prognostiziert, wird irgendwann recht behalten. Könnte es jetzt so weit sein? Könnte jetzt Stelters Stunde schlagen?
Anzeichen gibt es genug. Die kippelige Stimmung an den Börsen, die zunehmenden Gewinnwarnungen großer Konzerne, die reduzierten Wachstumsprognosen der Konjunkturforscher: alles Signale, dass der nächste Abschwung naht. Sicher, solche Phasen, in denen sich das Wirtschaftswachstum verlangsamt, sind noch keine Katastrophe. Konjunkturzyklen gehören zur Marktwirtschaft dazu.
Doch mehrere Risikofaktoren kommen hinzu. Erstens ist der Schuldenberg, der auf der Weltwirtschaft lastet, seit der Weltfinanzkrise noch weiter gewachsen – und bedroht derzeit erneut den Zusammenhalt der Euro-Zone. Zweitens sind die Arsenale der Notenbanken noch von der letzten Krise erschöpft – was ihre Möglichkeiten einschränkt, einer erneuten Rezession entgegenzuwirken.
Und drittens können wir uns nicht darauf verlassen, dass im Fall einer neuen Krise die politische Koordination zwischen den großen Wirtschaftsblöcken so reibungslos funktioniert wie vor zehn Jahren. Damals verhinderten die Regierungschefs der G20-Staaten gemeinsam Schlimmeres. Heute muss man befürchten, dass Trump und Konsorten eher gegeneinander als miteinander arbeiten würden.
Die Zutaten für einen Crash sind vorhanden. Für Unternehmen und Anleger kommt es nun darauf an, die Risiken einzuschätzen: Wie wahrscheinlich ist es, dass sich der aktuelle Abschwung tatsächlich zu einer fundamentalen Krise ausweitet? Auf welche Alarmsignale gilt es in den kommenden Wochen und Monaten zu achten? Wie lässt sich das eigenen Vermögen so absichern, dass es einen Crash übersteht – ohne sich alle Ertragschancen zu vergeben, falls der ganz große Konjunktureinbruch ausbleibt? Oder, wie es Daniel Stelter formuliert: „Die richtige Schlussfolgerung aus Krisenszenarien besteht nicht darin, sich mit Dosenfutter und reichlich Trinkwasser in eine Almhütte zurückzuziehen.“
Die Warnsignale
In nur sechs Monaten ist der deutsche Aktienleitindex Dax um zwölf Prozent eingebrochen, allein seit Oktober verloren Deutschlands 30 größte Konzerne rund 100 Milliarden Euro an Wert. An den Finanzmärkten und in den Unternehmensbilanzen mehren sich beinahe jeden Tag die Signale, dass der nahezu zehnjährige Aufschwung in der Bundesrepublik zu Ende geht.
Am schlimmsten trifft es Deutschlands Schlüsselbranche, die Automobilhersteller um BMW, Daimler und Volkswagen sowie ihre vielen Zulieferer wie Continental, Leoni, Kuka und Schaeffler. Kosten für den Dieselskandal, die verschlafene Umstellung auf die neuen WLTP-Abgasprüftests, höhere Zölle auf Exporte aus den USA nach China und eine daraus resultierende schwächere Nachfrage aus Deutschlands wichtigem Absatzland China: All diese Faktoren schmälern die Umsätze und Gewinne.
Allein die Kosten aus Trumps Handels- und Sanktionspolitik bezifferte BMW-Finanzvorstand Nicolas Peter auf rund 300 Millionen Euro in diesem Jahr. Konkurrent Daimler rechnet damit, wegen der US-Sanktionen in China künftig weniger Geländewagen made in USA zu verkaufen als bislang erwartet.
„Die Luft wird dünner“, warnte jüngst der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Martin Wansleben, mit Blick auf die Herbstumfrage seines Verbands bei 27.000 Firmen.
Längst schwappen die Probleme der Autoindustrie auch auf andere Branchen über, wie die Ertragswarnungen des Logistikers Deutsche Post, des Baustoffriesen Heidelberg Cement und des Gesundheitsdienstleisters Fresenius zeigen.
„Wir sind weder mit unserer Geschäftsentwicklung noch mit der Entwicklung unserer Aktie zufrieden“, stöhnte BASF-Vorstandschef Martin Brudermüller bei Vorlage der Bilanz zum dritten Quartal. Das Ergebnis vor Steuern war um 23 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum gesunken. BASF produziert für Kunden aus fast allen Industriebranchen chemische Vorprodukte und spürt deshalb wie kaum ein anderer frühzeitig das Auf und Ab der Konjunktur.
Doch nicht nur die vielen Gewinnwarnungen und Ertragseinbrüche signalisieren die Krise und den Abschwung, sondern auch die heftigen Reaktionen der Investoren. So verlor die Aktie des Gesundheitsdienstleisters Fresenius binnen weniger Minuten zwölf Prozent, weil der Vorstand ein etwas geringeres Wachstum in Aussicht stellte.
Einige Wochen davor verlor Continental an nur einem Tag 15 Prozent an Wert. Als der Baustoffriese Heidelberg Cement eine sehr vorsichtig und vage formulierte Gewinnwarnung aufgrund ungünstiger Wetterbedingungen und hoher Energiepreise veröffentlichte, sank der Kurs um zehn Prozent.
Solch nervöse Kursreaktionen sind typisch für den Beginn eines Abschwungs. In dieser Phase wissen die verunsicherten Investoren noch nicht, wie stark der Konjunktureinbruch ausfällt – und ob er möglicherweise in eine Rezession mündet. Denn selbst die ist inzwischen für Deutschland kein weit entfernt liegendes Horrorszenario mehr.
Nach vorläufigen Berechnungen des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW) ist die deutsche Wirtschaft in den drei Sommermonaten Juli, August und September voraussichtlich um 0,3 Prozent geschrumpft. Auch Lars Feld, Mitglied der „Wirtschaftsweisen“, des Sachverständigengremiums der Bundesregierung, geht davon aus: Die deutsche Wirtschaft ist im dritten Quartal geschrumpft.
Die Experten versichern, dass es sich nur um einen kurzfristigen Ausrutscher handelt, unter anderem, weil der Autoabsatz wegen der neuen Abgasprüftests eingebrochen ist. Doch sollte sich die Zahl aus Kiel bewahrheiten, wäre lediglich noch ein weiteres Quartal mit negativem Wachstum erforderlich, um die technische Definition einer Rezession zu erfüllen.
Auch als Reaktion auf die schlechten Zahlen im dritten Quartal haben die Sachverständigen ihre Wachstumsprognose für das laufende Jahr in dieser Woche drastisch gesenkt, von bislang 2,3 auf 1,6 Prozent. Für 2019 rechnen sie nur noch mit 1,5 statt bislang 1,8 Prozent Wachstum. „Die weltweiten Unsicherheiten bremsen die Wirtschaft aus“, kommentierte auch der Präsident des Ifo-Instituts, Clemens Fuest, das jüngste Ergebnis des Ifo-Konjunkturindexes.
Der Indikator, der die aktuelle Lage und die Zukunftserwartungen von 9000 befragten Unternehmen zusammenfasst, ist im Oktober von 103,7 auf 102,8 Zähler gesunken.
Für die USA rechnet Ökonomienobelpreisträger Robert Shiller „mit einem heftigen Rückschlag“. Selbst einen „mittelfristigen Crash“ schließt der Yale-Ökonom nicht aus. Shiller machte Furore mit seinem Buch „Irrationaler Überschwang“, in dem er das Platzen der Internetblase kurz nach der Jahrtausendwende vorhersagte. Und er sah auch den Absturz der amerikanischen Häuserpreise voraus, der im Jahr 2007 die Weltfinanzkrise auslöste.
Andere große deutsche Wirtschaftsforschungsinstitute haben ihre Wachstumsprognosen bislang nur leicht nach unten korrigiert. So rechnet beispielsweise die gemeinsame Herbstprognose der führenden Konjunkturforscher für 2019 weiterhin mit einem kräftigen Wachstum von 1,9 Prozent.
Dazu muss man wissen: Konjunkturforscher haben in der Vergangenheit so gut wie noch nie eine Rezession vorausgesagt. „Nicht wenige Rezessionen wurden durch unvorhergesehene Ereignisse ausgelöst. Das machte eine Prognose faktisch unmöglich“, sagt der Chef des Handelsblatt Research Institute, der ehemalige „Wirtschaftsweise“ Bert Rürup.
Daniel Stelter formuliert es drastischer: „Konjunkturforschungsinstitute werden ihnen eine Rezession niemals vorhersagen, denn die höchste Wahrscheinlichkeit, richtig zu liegen, besteht darin, den bestehenden Trend fortzuschreiben und zu sagen: Das kommende Jahr wird etwa so wie dieses.“ Nach diesem Motto funktioniere etwa die Gemeinschaftsdiagnose der großen Konjunkturforschungsinstitute, „die ist kompletter Blödsinn“.
Auf folgende Risikosignale sollten Sie in den kommenden Monaten achten: Gewinnwarnungen bei Unternehmen aus Frühzykliker-Branchen wie Chemie, Maschinenbau oder Stahl; heftige Kursausschläge als Reaktion auf geringfügige Ergebnisabweichungen; ein weiterer Rückgang des Ifo-Indexes und scheibchenweise nach unten korrigierte Konjunkturprognosen
Die Schulden
Es war ein Treffen der Geläuterten. Als die Staatschefs der führenden 20 Industrienationen (G20) ein Jahr nach dem Kollaps von Lehman Brothers im US-amerikanischen Pittsburgh zusammenkamen, hielten sie als eine der zentralen Lehren aus der Finanzkrise fest: Wir wollen „verhindern, dass es erneut zu exzessivem Kreditwachstum und ‧unverhältnismäßigen Verschuldungskennzahlen im Finanzsystem kommt“.
Geschehen ist das Gegenteil. Neun Jahre nach Pittsburgh liegt die globale Verschuldung auf einem neuen Rekordstand. Der weltweite Schuldenstand der Staaten, Unternehmen und privaten Haushalte ist nach Zahlen des Internationalen Währungsfonds in den zehn Jahren seit 2007 von 179 Prozent der Wirtschaftsleistung auf 225 Prozent emporgeschossen.
Weniger die privaten Haushalte als vielmehr Staaten und Unternehmen sind für den Zuwachs verantwortlich: In den Industrieländern ist die öffentliche Verschuldung in Prozent der Wirtschaftsleistung (BIP) mit 105 Prozent so hoch wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Und die weltweiten Verbindlichkeiten der privaten Unternehmen sind nach Zahlen des US-Analysehauses Sanford Bernstein in zehn Jahren um zwei Drittel auf 14 Billionen Dollar angeschwollen.
Zwar scheinen die Banken deutlich sicherer und weniger verschuldet als in den Jahren vor 2008. Doch dafür haben sich die Risiken in anderen Ecken des Finanzsystems aufgestaut – bei Fonds, Versicherungen und im Beteiligungsmarkt.
In allen Regionen der Welt gibt es auf unterschiedlichen Ebenen bedenkliche Schuldenstände und exzessives Kreditwachstum – die in der bereits begonnenen Phase steigender Zinsen schnell zum wirtschaftlichen Gefahrenherd werden können. Denn je höher die Zinsen, desto schwieriger wird es, diese Kredite zu bedienen. Das Gleiche gilt für eine Phase langsameren Wachstums oder gar einer Rezession.
Ein Großteil des Wachstums, das die Industriestaaten seit der Finanzkrise erlebt haben, ist auf diese gestiegene Verschuldung zurückzuführen und nicht auf nachhaltige Faktoren wie etwa ein Wachstum der Produktivität. Schulden und noch mehr Schulden stehen auch hinter dem bemerkenswerten Wachstumsschub, den die Vereinigten Staaten derzeit erleben.
In den USA, deren wild gewordener Hypothekenmarkt 2008 Ausgangspunkt der Finanzkrise war, haben private Haushalte ihre Verbindlichkeiten zwar abgebaut. Doch dafür hat sich die Staatsverschuldung binnen zehn Jahren auf atemberaubende 21,5 Billionen Dollar verdoppelt. Infolge der Einnahmeausfälle durch die Steuerreform erwartet das Haushaltsbüro des US-Kongresses allein für 2019 eine weitere Schuldenaufnahme der öffentlichen Hand von einer Billion Dollar.
Auch die Unternehmensverschuldung sorgt bei Aufsehern und Notenbankern für Nervosität. Janet Yellen, ehemalige Chefin der US-Zentralbank Federal Reserve (Fed), warnt eindringlich vor den systemischen Risiken im Markt für riskante Übernahmekredite („Leveraged Loans“).
Dieser vor allem von Beteiligungsfonds intensiv genutzte Kreditmarkt ist mit 1,3 Billionen Dollar mittlerweile größer als derjenige für hochriskante Ramschanleihen. Die Schuldenstände dieser Unternehmen sind gefährlich hoch und die Schutzklauseln für die Geldgeber kaum mehr existent.
Die Bank of England verglich diesen Markt daher kürzlich mit dem für US-Schrotthypotheken, der die Finanzkrise 2007 auslöste. Und selbst ein Insider wie Jürgen Breuer, Manager des Kreditfonds Pemberton Asset Management, bezeichnet diese Darlehen als „Sündenfall“ der Branche.
Nicht nur in den USA, auch in Europa werden Leveraged Loans allzu locker vergeben. Ohnehin sieht es in Europa nicht besser aus als in den USA – nur anders. Dank der Nullzinsen der Europäischen Zentralbank haben sich die Unternehmen in den vergangenen Jahren mit günstigen Krediten vollgesogen.
Laut der Ratingagentur Moody’s ist das Verhältnis von Schulden zu operativem Ergebnis in Europa in der vergangenen Dekade um 23 Prozent nach oben geschossen. Immer mehr Unternehmen wandeln als Zombiefirmen umher, deren Geschäft nur durch die niedrigen Zinsen aufrechterhalten wird.
Sobald die Zinsen nach oben gehen oder die ersten Gläubiger um die Rückzahlung ihrer Darlehen fürchten, kann es zu einer Kettenreaktion kommen: Die eigentlich nicht wettbewerbsfähigen Unternehmen kriegen kein frisches Geld mehr, die ersten gehe pleite, was dafür sorgt, dass weitere Gläubiger ihr Kapital abziehen, was neue Pleiten hervorruft.
Zu den Unternehmensschulden kommen die der europäischen Staaten. Die Staatsschulden von Italien sind mit gut 130 Prozent der Wirtschaftsleistung mittlerweile höher als die von Griechenland im Jahr 2009 kurz vor Beginn der Euro-Schuldenkrise. Schon jetzt fallen die italienischen Anleihekurse und belasten das Eigenkapital der Gläubigerbanken, was schlimmstenfalls neue Bankenpleiten auslösen könnte. „Sollte Italien in eine Finanzkrise abrutschen, erleben wir in Europa einen Sturm“, sagt Ifo-Chef Fuest.
Die neue Regierung des Landes verweigert sich standhaft den Brüsseler Sparvorgaben. Die Finanzmärkte sind alarmiert. Der Risikoaufschlag für italienische Staatsanleihen mit zehn Jahren Laufzeit gegenüber Bundesanleihen ist bereits auf gut drei Prozentpunkte angewachsen.
Sollte das Land in eine Finanzkrise rutschen, wären weder die EZB noch der Rettungsfonds ESM in der Lage, die viertgrößte Volkswirtschaft Europas mit einer Staatsverschuldung von 2,3 Billionen Euro aufzufangen. Die Summen, die dazu nötig wären, sind schlicht zu groß. Ein Ausstieg Italiens aus dem Euro indes würde sofort dazu führen, dass sich die Finanzierungsbedingungen für den italienischen Staat drastisch verteuern. Eine Staatspleite mit anschließendem Schuldenschnitt wäre nahezu unausweichlich.
Und schon vor diesem Ereignis würden die Finanzmärkte darauf spekulieren, dass weitere Euro-Staaten aus der Währungsunion ausscheren, mit ähnlichen Folgen wie im Falle Italiens.
Auch einige der großen Schwellenländer sind wirtschaftlich verletzlich. Die IWF-Experten schätzen, dass in rund 40 Prozent der Schwellenländer (exklusive China) die Dollar-Schulden im Verhältnis zu den Exporten zu hoch sind.
Bereits in den vergangenen Monaten haben einige Länder wie die Türkei und Argentinien die Kehrseite dieses Schuldenrauschs zu spüren bekommen: Aufgrund steigender US-Zinsen floss viel Kapital in die USA zurück. Dadurch brachen die türkische Lira und der argentinische Peso zum Teil drastisch ein, wodurch wiederum der Wert der Dollar-Schulden in diesen Ländern explodierte. Das Risiko von Zahlungsausfällen steigt.
Unter besonders kritischer Beobachtung vieler Experten steht China, auch wenn kaum jemand die dortige Lage im Kreditsystem wirklich durchdringt. Fakt ist aber: Der Schuldenpegel der Wirtschaftsgroßmacht ist seit der Finanzkrise drastisch gestiegen. Der gesamte Schuldenberg des Landes lag Ende 2017 bei 242 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
Sorgen bereiten dort vor allem die Immobilienschulden, die Kreditsucht der Staatsunternehmen und nicht zuletzt die außerhalb der Bilanzen geparkten Verbindlichkeiten regionaler Provinzen. Erst kürzlich warnte die Ratingagentur S&P vor einer verdeckten Schuldenbombe in China.
Neun Jahre nach Pittsburgh haben sich die damaligen Versprechen zum Schuldenabbau als weitgehend leere Worthülsen entpuppt. Auch, und das ist die Ironie der Geschichte, weil die Zentralbanken in ihrem Kampf gegen die Folgen der Finanzkrise die Schleusentore ihrer Geldpolitik so weit geöffnet haben wie niemals zuvor.
Auf folgende Risikosignale sollten Sie in den kommenden Wochen achten: Steigende Zinsunterschiede („Spreads“) zwischen deutschen Staatsanleihen und denen anderer Euro-Staaten, vor allem Italien; Kurseinbrüche bei den Währungen hochverschuldeter Schwellenländer; Zunahme der Unternehmensinsolvenzen vor allem in der Euro-Zone oder in China
Die Notenbanken
Notenbanker sprechen nicht gern darüber, ob ihr Arsenal ausgeschöpft ist. Aber in Wahrheit gehört es zu den größten Sorgen bei Zentralbanken wie der Fed in den USA und der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt, im Fall einer neuen Krise nicht handlungsfähig zu sein.
Geldpolitisch spielt die Frage, wie die nächste Rezession zu bekämpfen sei, auf beiden Seiten des Atlantiks eine wichtige Rolle. Dabei gibt es zwei Denkrichtungen. Auf der einen Seite hätte zum Beispiel Bundesbank-Präsident Jens Weidmann die Zinsen tendenziell lieber etwas schneller erhöht, als es tatsächlich geschehen ist, nach der Logik: Wenn die Zinsen höher sind, kann man sie besser senken, um einer Rezession zu begegnen.
Zentrale der Europäischen Zentralbank
Viele andere Notenbanker sehen es anders: Sie wollen die Zinsen nur langsam erhöhen, damit es gar nicht erst zu einer Rezession kommt. Denn schon häufig haben die Notenbanken durch einen zu schnellen Zinsanstieg einen wirtschaftlichen Abschwung selbst ausgelöst.
Die Leitzinsen in der Euro-Zone liegen bei null, der Einlagenzins für Geschäftsbanken mit minus 0,4 Prozent sogar darunter. Mit Zinssenkungen, dem Standardmittel gegen eine kollabierende Wirtschaft, kann die EZB daher nicht mehr viel ausrichten. Zudem ist die Bilanzsumme der Zentralbank durch die Käufe von Anleihen auf über 40 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) der Euro-Staaten angeschwollen. Das würde es erschweren, weitere massive Anleihekäufe einzusetzen.
Die EZB unterliegt bei Anleihekäufen eigenen Regeln, deren Einhaltung von den Euro-Ländern eifersüchtig überwacht wird. Die EZB kann nicht beliebige Papiere kaufen, also zum Beispiel nur italienische Staatsanleihen, sondern muss sich bei den Staatsanleihen nach einem bestimmten Schlüssel richten, der von Größe und Bevölkerungszahl der einzelnen Euro-Länder abhängt.
Außerdem darf sie nicht mehr als ein Drittel der Staatsanleihen eines jeden Landes kaufen. Zusammen genommen würde sie daher bei einer massiven Ausweitung ihrer Anleihekäufe bald keine geeigneten Papiere mehr finden.
Hinzu kommt: Die EZB hat ihr Ziel einer jährlichen Preissteigerung von knapp zwei Prozent in der Euro-Zone mittlerweile überschritten. Der Anstieg der allgemeinen Verbraucherpreise liegt bereits jetzt bei 2,2 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat. Die EZB argumentiert allerdings auch mit der sogenannten Kerninflation, die im Unterschied zu den Verbraucherpreisen die deutlich gestiegenen Energiepreise ausklammert. Diese Kern‧inflation liegt bei 1,3 Prozent, also noch unter dem Zielwert.
Jenseits aller Definitionsfragen lässt sich aber in einem solchen Umfeld eine Unterstützung der Wirtschaft mit Niedrigzinsen geldpolitisch immer schwerer rechtfertigen. Denn die EZB hat als einziges Mandat die Preisstabilität. Und es ist keineswegs sicher, dass bei einem Konjunkturabschwung der Inflationsdruck nachlässt. In der Vergangenheit gab es auch schon Phasen von Stagflation, also Inflation plus schwacher Wirtschaftsentwicklung.
Donald Trump
In nicht einmal zwei Jahren hat der US-Präsident die Weltordnung auf den Kopf gestellt.
(Foto: AP)
In den USA ist die Zinswende bereits vollzogen, dort liegen die Leitzinsen über zwei Prozent. Die Fed ist dabei, sie weiter zu erhöhen. Bereits die Nachricht, dass sie auf diesem Pfad langsamer voranschreitet, würde in einem Abschwung als geldpolitischer Stimulus ausreichen.
Außerdem ist die Bilanzsumme der Fed inzwischen auf rund 22 Prozent der US-Wirtschaftsleistung gesunken. Und der Markt für US-Staatsanleihen ist riesig. Die Fed könnte daher jederzeit wieder neue Anleihen kaufen. Das Arsenal der Fed ist also zumindest halb gefüllt, das der EZB ist leer.
Krisenprophet Stelter rechnet damit, dass die Notenbanken im Ernstfall versuchen würden, die schuldenfinanzierte Wachstumsillusion mit noch radikaleren Mitteln aufrechtzuerhalten, „das Helikoptergeld wird gerade intellektuell vorbereitet“.
Hinter dem Begriff verbirgt sich die Idee, dass Notenbanken im Krisenfall frisch gedrucktes Geld direkt an Staat oder Bürger auszahlen könnten, um die Wirtschaft zu stimulieren. Bisher ein absolutes Tabu. Helikoptergeld wäre so etwas wie die nukleare Option der Geldpolitik: unerprobt, mutmaßlich enorm wirksam – aber nach dem Einsatz wäre nichts mehr wie zuvor. Doch egal, mit welchen Mitteln: Notenbanken können Krisen nur effektiv bekämpfen, wenn sie im Einklang mit der Politik handeln – nicht gegen sie.
Auf folgende Risikosignale sollten Sie in den kommenden Wochen achten: Anstieg der Kerninflation im Euro-Raum; Abweichung vom geplanten Anstieg der Leitzinsen bei der Fed; Entwicklung der Anleihekäufe bei der EZB
Die Politik
Keine zwei Jahre hat US-Präsident Donald Trump gebraucht, um die Weltordnung so, wie wir sie seit Jahren kannten, in seinen Grundfesten zu erschüttern. Der Präsident trat Handelskriege los – vor allem gegen China, aber auch gegen Europa, den traditionellen Verbündeten Amerikas.
Er kündigte internationale Verträge wie das Atomabkommen mit dem Iran, an dem sich Generationen westlicher Diplomaten abgearbeitet hatten. Er brüskierte die Uno, die Welthandelsorganisation (WTO), jene internationalen Institutionen also, die als Rückgrat einer regelbasierten Weltordnung gelten, die die Vereinigten Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg selbst entwarfen.
Den Amerikanern scheint dieser Kurs mehrheitlich zu gefallen. Zumindest ist die ganz große Abrechnung mit Trump und seinen Unterstützern bei den Wahlen zu Senat und Repräsentantenhaus in dieser Woche ausgeblieben. In den kommenden zwei Jahren wird der Republikaner Trump jedoch mit einem demokratisch dominierten Repräsentantenhaus zusammenarbeiten müssen.
Welche Folgen das für die Wirtschafts- und Außenhandelspolitik der USA haben wird, lässt sich nur schwer vorhersagen. Im besten Fall bremsen die demokratischen Abgeordneten den erratischen Trump. Im schlimmsten Fall sorgt das Gegeneinander von Präsident und Parlament für noch mehr Hin und Her und damit Unsicherheit.
Das größte Risiko für die Weltwirtschaft ist derzeit die Politik selbst – oder besser: die Tatsache, dass eine Kooperation unter den wichtigsten Volkswirtschaften, wie sie während der Finanzkrise erfolgte, nicht mehr selbstverständlich vorausgesetzt werden kann.
Nicht nur in den USA, auch in anderen Schlüsselstaaten der Weltwirtschaft sind schwer berechenbare Regierungen an der Macht. So schlingert Großbritannien, sonst ein Muster an wirtschaftspolitischem Pragmatismus, auf einen ungeordneten Austritt aus der EU zu, weil die konservative Partei von Regierungschefin Theresa May gespalten ist zwischen EU-Skeptikern und EU-Hassern. In Italien, immerhin ebenfalls ein G7-Staat, regieren schwer zu berechnende Populisten.
In der Türkei, einem der wichtigsten und zugleich verletzlichsten Schwellenländer überhaupt, reagierte Präsident Recep Tayyip Erdogan auf die Krise, indem er den erfahrenen Finanzminister vor die Tür setzte und den Job stattdessen an seinen eigenen Schwiegersohn vergab. Vertrauensbildende Maßnahmen an den Finanzmärkten sehen anders aus.
Angela Merkel, die weltweit als unermüdliche und einflussreiche Vermittlerin in Krisensituationen angesehen wird, ist durch die Ankündigung ihres Rücktritts politisch geschwächt. Fraglich, ob sie in einer neuen Krise etwa im Euro-Raum noch die Autorität aufbringen wird, die Führer der anderen Staaten am Verhandlungstisch zur Kooperation zu zwingen.
In wichtigen europäischen Institutionen stehen in den kommenden Monaten Umbrüche an. In der EU wird das gesamte Jahr 2019 durch den Wahlkampf zum Europarlament und die anschließende Suche nach dem Nachfolger für Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker geprägt sein. Für das Management einer eventuellen Wirtschaftskrise fällt Brüssel damit weitgehend aus.
Auch bei der EZB wird ein Nachfolger für Präsident Mario Draghi gesucht. Sollte der Nachfolger aus dem Lager der geldpolitischen Falken um Jens Weidmann stammen, könnte das auf eine straffere Geldpolitik hindeuten – mit entsprechendem Risiko für die Konjunktur in Europa.
Doch selbst ein Verfechter einer weichen Geldpolitik könnte als neuer EZB-Präsident geneigt sein, sich mit einigen harten geldpolitischen Entscheidungen das Vertrauen der Falken zu erarbeiten. In jedem Fall sollten sich die Märkte nicht darauf verlassen, dass Mario Draghis lockerer Kurs uneingeschränkt weitergeführt wird.
Vertrauen und Kooperation über ideologische Grenzen hinweg: Das war zumindest in der internationalen Handels- und Wirtschaftspolitik der großen Industrienationen das Leitprinzip der vergangenen sieben Dekaden. Dass ausgerechnet der Präsident der westlichen Führungsmacht USA diese internationale Kooperation infrage stellt, ist eine historische Zäsur – die schnell Nachahmer finden könnte.
Schon einmal hat es einen solchen Bruch gegeben. Es war Ende der Zwanzigerjahre, als ein amerikanischer Präsident die Wende einleitete: Mit dem Smoot-Hawley-Zollgesetz erhöhte US-Präsident Herbert Hoover die Zölle auf Einfuhren, zunächst auf Agrargüter, später dann flächendeckend auf mehr als 20.000 Importwaren. Der Präsident wollte die heimische Wirtschaft schützen. Er erreichte das Gegenteil. Denn die Handelspartner setzten sich zur Wehr. Großbritannien, damals noch Weltmacht, nahm Abschied vom Goldstandard, um das Pfund abzuwerten und sich auf Kosten der Handelspartner Wettbewerbsvorteile zu verschaffen. Das Prinzip lautete „Beggar thy Neighbor“, also „Ruiniere deinen Nachbarn“.
Infolge der zusammengebrochenen internationalen Kooperation von 1929 bis 1933 schrumpfte das Welthandelsvolumen um zwei Drittel. Am Ende verloren alle. Denn dieser Prozess mündete in der Great Depression. Ein Einbruch der Weltwirtschaft, wie ihn damals niemand für möglich gehalten hätte.
Auf welche Risikosignale Anleger achten sollten: Ankündigungen von Donald Trump im Handelskonflikt der USA mit der EU und China; Kompromissaussichten in den Brexit-Verhandlungen; mögliche Eskalation im Haushaltsstreit zwischen der EU-Kommission und Italien; Nachfolge von EZB-Präsident Draghi
Das Fazit
Ob ein normaler Abschwung droht oder ein veritabler Crash wird davon abhängen, ob einer oder mehrere der beschriebenen Risikofaktoren eintreten und eine Kettenreaktion auslösen. So könnte zum Beispiel eine drohende Staatspleite Italiens eine Krise der Gläubigerbanken auslösen und zum Zerbrechen der Währungsunion führen. Oder es kommt zu einer Vertrauenskrise in das Finanzierungsinstrument der Leveraged Loans und in der Folge zu einer weltweiten Welle von Firmenpleiten. Oder ein steigender Dollar-Kurs treibt mehrere Schwellenländer in die Zahlungsunfähigkeit – mit entsprechenden Folgen für die Weltkonjunktur.
All diese Szenarien haben etwas mit der zu hohen Schuldenlast der Weltwirtschaft zu tun. Solange diese Verschuldung von Staaten und Unternehmen nicht sinkt, wird jeder zyklische Abschwung zum Crashtest, weil schuldenfinanzierte Spekulationsblasen zu platzen drohen. Verstärkt werden die Gefahren, die von schuldengetriebenen Krisen ausgehen, derzeit durch die eingeschränkten Reaktionsmöglichkeiten zumindest der europäischen Notenbank und die fehlende Kooperation der Staaten untereinander.
Wie sich Geldanleger auf vier solcher konkreten Krisenszenarien einstellen können, lesen Sie ab Seite 64. Die beiden wichtigsten Grundsätze sind dabei für Krisenprophet Daniel Stelter, „so banal es klingt, erstens Diversifikation über Assetklassen hinweg und zweitens Diversifikation über Regionen hinweg“. Eine Strategie, die auch vor entgangenen Ertragschancen schützt, falls der Crash ausbleibt – wie in den vergangenen Jahren geschehen.
Stelter räumt im Rückblick freimütig ein: „Ich habe kontinuierlich unterschätzt, wie lange die Notenbanken bereit sein würden, die notwendige Bereinigung mit ihrer lockeren Geldpolitik aufzuschieben.“ Aber inzwischen sei nun wirklich ein Stadium erreicht, „das alle Alarmglocken schrillen lassen sollte. Die Gefahr, dass es in den nächsten zwei Jahren rumpelt, ist extrem hoch.“
Bleibt nur zu hoffen, dass seine Uhr falsch geht.